Als Wissenschaftslektor für Abschlussarbeiten und Dissertationen stelle ich häufig fest, dass die Qualität einer Arbeit im letzten Viertel immer mehr nachlässt, wenn es darum geht, die Ergebnisse zu diskutieren, zusammenzufassen und eindeutig Position zu beziehen. Zwei naheliegende Gründe für diesen Mangel sind die knapp bemessene Zeit und die nachlassende Motivation, die an sich gelungene Argumentation konsequent bis zum Ende fortzusetzen. Die beiden Gründe sind den meisten Doktorand:innen noch bewusst, sodass Gegenstrategien entwickelt werden können.
Ein weiterer Grund ist, dass wissenschaftliches Schreiben im Prüfungskontext an einen festgelegten Adressaten gerichtet ist. Der:die Gutachter:in knüpft an die Arbeit gewisse Erwartungen, die jedoch auch bei einer guten Betreuung undeutlich und unausgesprochen bleiben können. Die Adressatenorientierung wird dagegen nicht bewusst wahrgenommen, ist jedoch wesentlich, denn häufig erzählen mir Studierende und Doktorand:innen sehr überzeugend ihre Vorstellungen über die Ergebnisse, die aber in dieser Deutlichkeit nicht in der Doktorarbeit stehen. Wenn ich nachfrage, warum sie denn nicht die Ergebnisse der eigenen Wahrnehmung niedergeschrieben haben, wird eingewendet, der:die Gutachter:in würde ein anderes Ergebnis erwarten oder noch niemand in der Fachwelt sei bisher auf die Idee gekommen, dieses scheinbar „abwegige“ Ergebnis zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund entstehen Schlusskapitel, denen „das Salz in der Suppe“ fehlt. Im schlimmsten Fall ist ein eigenständiges Ergebnis überhaupt nicht zu erkennen, was sich sehr negativ auf die Benotung einer ansonsten gut gelungenen Arbeit auswirken kann. Es ist nicht zielführend, Diskussion und Schluss aus der Adressatenperspektive zu schreiben. Wechseln Sie also die Perspektive und stellen Sie sich vor: Was habe ich durch meine Arbeit gelernt? Welche Ergebnisse sind mir für meine Arbeit wichtig? Was möchte ich der Fachwelt mit meiner Arbeit mitteilen?
Lehnen Sie sich einfach aus dem Fenster und beziehen Sie Position zu Ihrem Thema. Selbstverständlich müssen Sie sich immer an die Fragestellung, Erkenntnisse aus den einschlägigen Quellen und an den empirischen Befunden halten. Als Lektor und Schreibcoach kann ich wertvolle Hinweise geben, welche Argumente in den abschließenden Kapiteln noch einmal aufgegriffen werden sollten. Folgen Sie der eigenen Wahrnehmung. Denken Sie daran, dass Sie der:die Expert:in Ihrer eigenen Arbeit sind und nur Sie beurteilen können, welche Ergebnisse wichtig sind. Ihr:e Gutachter:in und überhaupt die gesamte Fachwelt möchte etwas Neues durch Ihre Arbeit erfahren. Es ist in den 27 Jahren meiner Tätigkeit als Wissenschaftslektor noch nicht vorgekommen, dass sich ein Studierender oder eine Doktorandin zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Probleme gab es eigentlich nur, wenn sie sich sehr zurückhielten oder zu bescheiden waren. Seien Sie also mutig und konsequent, wenn Sie sich den Ergebnissen widmen.